»Argentinischer Mai« – »Französischer Mai«. Künstlerische Stilisierung historischer Dokumente

»Argentinischer Mai« – »Französischer Mai«. Künstlerische Stilisierung historischer Dokumente

Der »argentinische Mai« fand 1969 – ein Jahr später als der »Pariser Mai« – in der argentinischen Provinz Córdoba statt, dem Sitz einer der ältesten Universitäten des Landes und zugleich Epizentrum einer neuen Industrialisierung mit Schwerpunkt in der Automobilindustrie. Zudem gab es in Córdoba bereits 1918, aufgrund der Universitätsreform, studentische Proteste. Zwischen dem Putsch gegen Perón im September 1955 und Anfang der 1970er Jahre bildete sich in Córdoba ein neuer Typus des Industriearbeiters heraus, der neue Widerstandstechniken entwickelt hatte und auch einen hohen Grad an Autonomie gegenüber der nationalen Syndikatsleitung, die eher den Dialog zwischen den Unternehmern und der Regierung suchte.

Der sogenannte »mayo francés« [französische Mai] oder »Cordobazo« (das spanische Suffix »azo« hat augmentative Funktion und kann auch »Eskalation« bedeuten) vom 29./30. Mai 1969 in Córdoba besiegelte die Vereinigung zweier Akteursgruppen – Studenten und Arbeiter – gegen die Diktatur von Juan Carlos Onganía. Angeführt von Elpidio Torres (Generalsekretär der Gewerkschaft SMATA) und Atilio López (Generalsekretär der Gewerkschaft Unión Tranviarios Automotor), beide Mitglieder der Confederación General del Trabajo (CGT), und Agustín Tosco (Gewerkschaft Luz y Fuerza), Mitglied der CGT de los Argentinos, errichteten die Studenten und Arbeiter Straßenbarrikaden, warfen Molotowcocktails auf die Polizei, attackierten ausländische Unternehmen und übernahmen die Kontrolle der Stadt, was schließlich zum Eingreifen der Nationalen Armee führte. Das Ergebnis des Cordobazo war verheerend: Zwanzig Studenten wurden getötet und hunderte verhaftet. In den Folgejahren wurde der Cordobazo – ebenso wie der Pariser Mai 1968 – zu einem mythischen Ereignis stilisiert.

Die zwei Fotografien zeigen Steinewerfer, die sowohl den Mai-Ereignissen von Paris 1968, als auch denen von Córdoba 1969 entsprechen; die beiden Plakate verdeutlichen die künstlerische Stilisierung der historischen Dokumente. Auf dem argentinischen Plakat, das im Mai 1973 hergestellt wurde, ist zu lesen, dass die Zeitschrift La Comuna zu einer Gededenkveranstaltung des Cordobazo einlädt und die Freilassung der politischen Gefangenen der Militärdiktatur zwischen 1969 und 1972, die von den Militärputschisten als »Argentinische Revolution« bezeichnet wurde, fordert. Die Freilassung erfolgt erst am 25. Mai 1973, als Héctor Cámpora, ein Politiker, der in enger Verbindung zu Juan Domingo Perón stand, die Präsidentschaft übernahm. Das Plakat bezieht sich auf ein historisches Bild, das am 3. Juni 1969 in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Siete Días Ilustrados erschien und eine Barrikade in den Straßen Córdobas zeigt. Außerdem verweist das Plakat auf ein emblematisches Poster des Pariser Mai 1968, das auf den Umrissen eines historischen Bildes das Graffiti »La beauté est dans la rue« zeigt.

 

Virginia Castro und Eugenia Sik, CeDInCI Buenos Aires

(Übersetzung aus dem Spanischen Lydia Schmuck. Die spanische Originalversion finden Sie hier.)