The Letters of Samuel Beckett, BD. IV: 1966–1989, hg. von George Craig, Martha Dow Fehsenfeld, Dan Gunn und Lois More Overbeck, Cambridge 2016, S. 150–152;
DLA Marbach, Foto: Jens Tremmel.

All is malentendu - Beckett an Adorno

Cascais

Portugal

15.2.69

 

Dear T. A.

Thank you for your letter received here yesterday.

I am flattered by the proposal to direct Godot in Hamburg. It is a

very big job and health is not grand. I’ll think it over and see how

things go and let you know. I have promised to do Das letzte Band

with Martin Held for the Schiller (Werkstatt) this summer, but that is

a small affair. Please convey to Messrs Lietzau and Nagel my apprecia-

tion of their offer.

I have not yet been conspué, so far as I know and that is not far, by

the Marcusejugend. As you said to me once at the Iles Marquises, all is

malentendu. Was ever such rightness joined to such foolishness?

So glad your work has been going well and look forward keenly to

Ästhetische Theorie. I am at an utter standstill on all fronts.

We return to Paris in a week or so after 3 months away in search

of a little mildness, and not in vain, but mingled with much wind and

rain.

Best always, dear T. A., et à bientôt j’espère.

Sam. Beckett

 

Samuel Becketts Antwort auf einen Brief Theodor W. Adornos vom 4. Februar 1969 ist dem Duktus nach ein typisches Beispiel Beckett’scher Lakonik und der seltene Fall einer möglicherweise »politisch« zu nennenden Aussage des irischen Dichters. Der Anlass von Adornos Schreiben war die Berufung Ivan Nagels an das Hamburger Schauspielhaus sowie dessen Plan einer Inszenierung von Warten auf Godot (wozu es allerdings nicht kam). Adorno schloss seinen Brief mit einer kurzen Bemerkung zur Arbeit an seinem erst posthum veröffentlichten Werk Ästhetische Theorie – auf den Namen hatte er sich kurz zuvor »endgültig« festgelegt –, die »durch die Studentenangelegenheiten aufs schwerste beeinträchtigt« worden seien. »Das Gefühl, mit einem Mal als Reaktionär angegriffen zu werden, hat immerhin etwas Überraschendes. Aber vielleicht haben auch Sie inzwischen die Erfahrung gemacht.« Dass Beckett an vier Stellen des Briefes die Sprache wechselt – dreimal ins Französische, einmal ins Deutsche – wirkt, als würde sich Erfahrung gleichsam idiomatisch geltend machen – der Brief ist dreisprachig wie viele seiner späteren Werke. Mit der Studentenbewegung in Berührung kommen – oder von ihr »geschmäht« (conspué) werden – konnte Beckett vornehmlich in Paris und die französische Rede vom Missverständnis (malentendu) hält gleichsam den Ort fest, an dem Adorno derartiges äußerte. Die »Marcusejugend« wiederum ist offenkundig ein ironischer Verweis auf die Hitlerjugend und vielleicht eine ins Tagesaktuelle verschobene Reminiszenz an eine seiner frühen Deutschlandreisen, die ihn 1936/37 in ein von den Nationalsozialisten regiertes Land führten. In den Tagebuchaufzeichnungen, von denen ein Teil 2018 in der Ausstellung »German Fever. Beckett in Deutschland« im Literaturmuseum der Moderne in Marbach ausgestellt wurden, finden sich beispielsweise Listen mit deutschen Redensarten, die Becketts Interesse an den Eigentümlichkeiten der Sprache verdeutlichen.

Aus der Rückschau fällt es schwer, jene Zeit des Jahres 1969 in Adornos Leben nicht selbst als eine Art Endspiel zu verstehen. In das Jahr fallen jene Aufsätze Adornos – »Resignation«, »Marginalien zu Theorie und Praxis« und »Kritik« –, in denen er nicht nur explizit auf die Zerwürfnisse mit der Studentenbewegung und einstigen Weggefährten wie Herbert Marcuse reagiert, sondern auch versucht, das malentendu wo nicht zu klären, so doch denkend nachzuvollziehen. Geholfen haben diese Initiativen wenig; am 22. April 1969 kommt es zu einer erneuten Störaktion seiner Vorlesung im Hörsaal VI der Frankfurter Universität, dem sogenannten »Busen-Attentat«. Adorno stellt seine Vorlesung daraufhin vorerst ein. Als in dem Interview mit dem SPIEGEL vom 5. Mai 1969 der Eingangssatz fällt, »Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung...«, antwortet Adorno mit einer lakonischen Prägnanz, die der Becketts nicht unähnlich ist: »Mir nicht.«

Robert Zwarg
DLA Marbach