Lateinamerikakolloquium 1962 in Berlin

 

Lateinamerikakolloquium 1962 in Berlin

Erstes Kolloquium lateinamerikanischer und deutscher Schriftsteller (Berlin, 1962)

 
Im September 1962 fand in Berlin das Erste Kolloquium lateinamerikanischer und deutscher Schriftsteller statt. Abgesehen von einem wissenschaftlichen Übersee-Kolloquium im November 1961 an der Universität Münster, hatten sich seit Ende des Zweiten Weltkrieges hauptsächlich vereinzelte, individuelle Kontakte ergeben, vor allem dank der unermüdlichen Vermittlung deutscher Exilanten, aber auch Begegnungen in breiterem Rahmen, wie etwa auf dem Ersten Argentinischen Philosophiekongress 1949 in Mendoza, der von zahlreichen deutschen Philosophen und Akademikern besucht wurde. Das Kolloquium in Berlin – in den Worten des Merkur-Herausgebers Hans Paeschke das erste »dieser Art nach dem Krieg« –  stellt also sozusagen eine offizielle Wiederaufnahme der kulturellen Beziehungen mit Lateinamerika dar, zumal hinter der als Organisatorin firmierenden Zeitschrift Humboldt die Lateinamerika-Abteilung des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung stand.

Obwohl es von einigen der Beteiligten – darunter Suhrkamp-Lektor Walter Boehlich – als gescheitert angesehen wurde, war das Treffen durchaus ergiebig: Ihm folgte nicht nur ein Zweites Kolloquium im Jahre 1964, ebenfalls in Berlin, diesmal mit Einladung renommierter Persönlichkeiten des literarischen Lebens Lateinamerikas, wie Jorge Luis Borges, Julio Cortázar und João Guimarães Rosa, sondern es hat auch zahlreiche intellektuelle Bekanntschaften angeregt, die nach und nach zu Reisen in beide Richtungen und zu Publikationsprojekten in Form von Anthologien, Zeitschriftenbeiträgen oder auch Übersetzungen führten, in nicht wenigen Fällen mit finanzieller Unterstützung der Bundesregierung. Eingeladen zum ersten Kolloquium waren nämlich nicht nur Schriftsteller, sondern auch Übersetzer und deutsche Verlagslektoren, Literaturkritiker und Universitätsprofessoren, wie man der hier teilweise abgebildeten Teilnehmerliste entnehmen kann, die zum Merkur-Bestand gehört. Die Markierungen zeigen an, wer für künftige Projekte – unter anderem für Veröffentlichungen im Merkur – in Frage kommt.

Der gedruckten Teilnehmerliste sieht man nicht an, dass sie Ergebnis längerer Verhandlungen war, bei denen nicht nur Geschmacksfragen sowie die persönlichen bzw. institutionellen Kontakte, über die die Organisatoren verfügten, eine Rolle spielten, sondern auch politische und ideologische Kriterien. Es dürfte kein Zufall sein, dass unter den lateinamerikanischen Ländern gerade Kuba – drei Jahre nach der Revolution – nicht vertreten ist. In einem Brief an Hans Paeschke vom 7. April 1962 beschwert sich Rafael Gutiérrez Girardot – damals Geschäftsträger der Kolumbianischen Botschaft in Bonn – über die Schwierigkeiten, seine Kriterien bei der Aufstellung der Gäste-Liste durchzusetzen. Die von ihm vorgeschlagene Liste sei »als ›prokommunistisch‹ […] angesehen« worden, und das, obwohl er, eine Ablehnung ahnend, die Namen des Chilenen Pablo Neruda und des Kubaners Nicolás Guillén schon von vornherein ausgeschlossen habe. »Aber daß man Asturias, Borges (!!!!!) u. a. m. ›prokommunistisch‹ nennt[,] ist ja die Höhe der Dummheit«, beklagt sich der Diplomat zu Recht.

Von Anfang an scheint also die Wiederaufnahme der kulturellen Beziehungen unter dem Zeichen der Politik gestanden zu haben. Angesichts der Rolle, welche die revolutionären Bewegungen Lateinamerikas bei der Radikalisierung der europäischen Studenten im Laufe des Jahrzehnts spielen sollten, kann man wohl einschätzen, dass die Taktik, bestimmte Namen aus politischen Gründen fernzuhalten, sich nicht als sehr wirksam erwiesen hat.

 

Griselda Mársico, Universidad de Buenos Aires